Ausgabe: Hardcover 1.Auflage 2020
Autor: Jan Böhmermann
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00058-0
Kosten: 22,00€
Das vorliegende Twittertagebuch von Jan Böhmermann ist die Zusammenstellung aus 25800 Tweets, Replys und Retweets der letzten 11 Jahre. Nun ist ein Tagebuch ja eigentlich etwas sehr Persönliches.
Privat ist Twitter aber schon lange nicht mehr und war es auch nie. Es hat sich zu einem riesigen Schauplatz etabliert, auf dem sich sämtliche Politiker und Kulturgrößen der Welt tummeln. Hier wird gestritten, debattiert und emotional aggiert verpackt in 280 Zeichen.
Sämtliche Tageszeitungen berichten über das Weltgeschehen, das ich mich schon manchmal frage, warum ich noch so viele Abos habe.
„Ausgedruckte“ Tweets sind nicht neu in der Literatur. Stefanie Sargnagel veröffentlichte 2017 ihr Buch Statusmeldungen und Jennifer Egan`s Buch Black Box ist 2012 erst auf Twitter enstanden und wurde durch den New Yorker zum Bestseller.
… denn es hat etwas sehr Intimes, Menschen über Ihre Handys zu erreichen, und mit 140 Zeichen kann erstaunliche Poesie entstehen.
Jennifer Egan über Black Box
Was bei Stefanie Sargnagel hauptsächlich Humor und bei Jennifer Egan ein stilistisches Mittel für ihr Spionagestory, ist beim Twittertagebuch Zeitgeschichte. Das Buch ist durch die hohe Anzahl von Kommentaren und Fußnoten unglaublich informativ. Wer nicht weiß, wer Peter Unfried, Sophie Passmann oder Dax Werner ist, der lernt sie spätestens beim Lesen des Buches kennen.
Mit 2,2 Millionen Followern ist Jan Böhmemann einer der einflussreichsten Twitterer in Deutschland. (Platz 19)
Er zeigt, das man mit Tweets Politikverdrossene einladen kann, sich wieder mit Politik zu beschäftigen und in Debatten einzusteigen. Es gibt einen Einblick wie Twitter funktioniert und Böhmermann wird öfters mal zum Aphoristiker.
Mit zunehmender Followerzahl und dadurch steigendem medialem Einfluss, wird auch der Ton rauher. Die Verrohung unserer Sprache und Shitstormthreads halten Einzug in die Sozialen Netzwerke. Hier zeigt das Buch auf, wie Twitter eben auch funktioniert. Als Plattform für übelste Beleidigungen, Rassismus, Sexismus bis hin zu Morddrohungen.
2013 bin ich der Social-Media-Plattform Twitter beigetreten. In dem Jahr war für Angela Merkel das Internet noch Neuland, der Papst Joseph Ratzinger verkündet seinen Rücktritt aus freien Stücken, die FDP fliegt aus dem Bundestag und das NeoMagazin, die Late Night Show des Autors, startet bei ZDFneo.
Wer sich mal die Mühe macht und sein Twitterarchiv anfordert und dann alle Tweets durchforstet,wird merken, wie viel Arbeit in diesem Buch steckt. Schon allein deshalb ist es nicht nur ein Stück ausgedrucktes Internet.
Ob nun Kunstfigur oder Privat, sarkastisch oder ernst gemeint, aus dem ICE oder der Redaktionskonferenz der Harald-Schmidt-Show: Jan Böhmermann zeigt in seinem Buch, wie die Welt und die Gesellschaft sich verändert und gewandelt hat.
Ist Twitter Literatur? Mit der Herausgabe dieses Buches spätestens, ja! Es schon allein optisch eine Augenweide.
Fortsetzung äußerst erwünscht!
Fun-und Fanfact
Mein erster Tweet lautet:
Niemand hat diesen Tweet gelesen, keine Vergabe von Herzchen. Drei Jahre sollte ich keinen Tweet mehr schreiben.
Durch den Autor selbst zog es mich 2016 zurück zu Twitter. Zu der Zeit hatte ein Gedicht eine Staatskrise ausgelöst. Wer war dieser Böhmermann, von dem alle sprachen? Ich wurde zur Eiferin. Sowohl die wöchentlichen Hashtags des Neo Magazin Royale als auch die Tweets von @janboehm waren seit dem täglicher Begleiter meiner Netzaktivität. Es zog mich in die Welt der Blauen Häkchen. Früher hat man sich über ein Autogramm gefreut, heute freut man sich über einen Like von Sibylle Berg oder Jan Böhmermann wie ein Schnitzel und ich kann mit Stephen King in Dialog treten während ich in Jogginghosen auf der Couch liege.
Verrückte Welt.